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AutorenbildMartin

Frühjahr 2020: In der Sperrzone

Aktualisiert: 29. März



Zurzeit sind die Fortschritte in unserem Projekt nicht wirklich erkennbar, und das hat natürlich auch mit den Viren zu tun. Corona. Und weil wir ein paar Anfragen bekommen haben, schreiben wir heute auch über das Thema, das fast ausschließlich Zeitungen und Fernsehen beherrscht. Auch in Griechenland.


In Griechenland bestehen heute, Freitag, dem 20. März, ähnliche Beschränkungen wie in Deutschland. Die Beschränkungen sind sogar noch etwas weitreichender als in Deutschland und der Schweiz. Hier fürchtet man, dass in kurzer Zeit allzu sparsam ausgerüstete Krankenhäuser überfordert wären mit der Versorgung von ernsthaft Erkrankten. Also ist die griechische Regierung bemüht, einer schnellen Ausbreitung der Viren soweit wie irgend möglich vorzubeugen. So sind die meisten Maßnahmen auf eine Reduzierung der Mobilität ausgerichtet.


Auf der ansonsten gut befahrenen Straße vor unserem Haus in Kapariana fahren kaum Autos, die Werkstätten nebenan haben geschlossen. Es ist auch sonst stiller geworden in unserer Vorstadt. Fährt man durch die ansonsten so quirlige Kleinstadt Mires, dann fällt auf, dass weniger Menschen unterwegs sind: Die vielen Cafés haben nicht geöffnet oder sich zu Take Aways umfunktioniert, niemand sitzt draußen, die meisten Geschäfte sind geschlossen – außer denjenigen Läden, die geöffnet haben dürfen und sollen: Obst- und Gemüseläden laden also mit ihren nach wie vor üppigen Auslagen zum Kauf ein, die Kioskverkäufer sind wie in „normalen Zeiten“ kaum zu erkennen in ihren mit Zeitungen, Getränken, Süßwaren zugebauten kleinen Häuschen, Zoo-Handlungen haben ihre Sortiment an Katzenkratzbäumen vor die Tür gestellt, Notfallschuster arbeiten im Freien. Die Polizei kontrolliert, ob die neuen Vorschriften eingehalten werden und verteilt angeblich auch Bußgelder, wo das nicht der Fall ist. Die Supermärkte haben geöffnet, alle Regale sind gut gefüllt, und es sind keine Engpässe in der Versorgung erkennbar: Hamsterkäufe haben hier bei uns im Süden nicht stattgefunden. Die Menschen hier, das ist unser Eindruck, reagieren sehr besonnen auf die Situation. Dabei ist die wirtschaftliche Perspektive jetzt schon schlimm: Alle Hotels müssen bis mindestens zum 30. April geschlossen haben, und natürlich gehen viele davon aus, dass diese Saison kaum oder keine Touristen mehr kommen werden. Das wäre eine Katastrophe. Die griechische Regierung hat finanzielle Unterstützung zugesagt, aber die wird schmaler ausfallen müssen als in Deutschland und der Schweiz: Griechenland ist ein armes Land.


Und was machen wir? Wir können uns nicht treffen mit Architekten, Ingenieuren, Baufirmen und unser Projekt weiter planen. Wir machen das zuhause. Wir lernen intensiver Griechisch zuhause, das ist ja auch mal nicht schlecht. Wir führen Listen mit Vorhaben für die Zeit nach den Kontaktsperren hier. Wir versuchen, soweit das hier irgendwie möglich ist, Dinge per Telefon und Videokonferenz zu klären, wir andere Menschen auf der Welt auch. Wir kaufen ab und zu ein, den auch in „normalen Zeiten“ zumeist recht wenig besuchten Supermarkt von Chalkiadakis haben wir ja fast gegenüber. Die Möglichkeiten, auf unserem Grundstück zu arbeiten, sind begrenzt, aber immerhin können wir uns hierin der Region bewegen.

Unsere Insel ist eine Insel. Das wird uns nicht nur deshalb bewusst, weil wir lesen, dass die Flüge vom Festland stark reduziert wurden und manche Fähren gleich gar nicht mehr fahren. Das wird uns auch dann besonders bewusst, wenn wir aus Athen hören, welche Maßnahmen dort zur Eindämmung der Virenverbreitung getroffen worden sind: Es sind zwar dieselben Maßnahmen wie auf Kreta, denn wir sind hier ja auch in Griechenland, aber die Festlandgriechen, die finden eben, die da im Süden, die sind da sowieso alle ein bisschen anders – und das wird die Kreter nicht so betreffen. Das stimmt natürlich so nicht. Ein bisschen stimmt das aber doch: Tatsächlich sind wir froh, dass wir draußen sein können, weil einfach Platz da ist, uns nicht eingesperrt fühlen müssen in unseren vier Wänden oder eine engen Stadt.


Fünf „Corona-Fälle“ werden für Kreta heute gezählt. Hierzulande geht man allerdings davon aus, dass es in Wirklichkeit 100mal so viele Fälle gibt, wie sie gezählt werden, weil Griechen mit Erkältungs- und Grippesymptomen schlicht zuhause bleiben. Ungemeldet. Sie sollen ja sowieso zuhause bleiben in diesen Zeiten.


Seit Montag, dem 23. März, 6 Uhr, gilt bei uns eine Ausgangssperre. Wir haben uns zuhause aufzuhalten und abzuwarten. Wir dürfen zum Einkaufen, das schon, insofern wir uns die Lebensmittel nicht nach Hause liefern lassen können. Das können wir nicht. Wir dürfen, höchstens zu zweit, in der Gegend joggen. Das wollen wir nicht. Wir dürfen nach Voranmeldung zum Arzt und in die Apotheke. Das müssen wir nicht. Für den Fall, dass unser Arbeitgeber (das sind wir) nicht auf uns verzichten kann, dürfen wir auch auf direktem Weg zur Arbeit und natürlich wieder nach Hause zurück, im eigenen Auto, in dem dürfen aber nur maximal zwei Menschen sitzen, und die müssen die Fahrt angemeldet haben.

Haustiere ausführen, das dürften wir auch. Aber da wir nicht wirklich davon ausgehen, unserer Balkonkatze zuverlässig beizubringen, an der Leine zu gehen, damit sie sozusagen mit uns Gassi gehen kann, haben sich nun unsere Kurz-Ausflüge erst einmal auf den Weg zu Supermarkt beschränkt. Alle Läden haben geschlossen, aber diejenigen, die Lebensmittel verkaufen, haben geöffnet, das sogar am Sonntag. Um das Haus zu verlassen, müssen wir uns Formulare aus den Internet herunterladen, sie ausfüllen, um sie gegebenenfalls bei einer Polizeikontrolle abzugeben. Wir könnten auch eine SMS an eine spezielle Nummer schicken, um dann auf eine Genehmigung zu warten, aber da warten angeblich Tausende von Griechen schon einem Tag lang auf eine Antwort. Mit dem selbstausgefüllten Formular

begeben wir uns also zunächst mal zu LIDL Hellas. Der Parkplatz ist recht leer, an der Tür steht eine freundliche Verkäuferin, verteilt Handschuhe und teilt uns mit, dass wir uns

Wir müssen draußen warten.

entscheiden müssen: Nur einer von uns darf in den Laden. Da kommt ein älteres Paar, dem fällt die Entscheidung schwer: Schließlich geht der Mann in den Laden, trotz seiner Zweifel, ob er überhaupt weiß, was einzukaufen ist. Aber er verabredet sich, gegebenfalls aus dem Laden heraus zu telefonieren. Dazu kommt es dann aber nicht, er erscheint wenig später wieder an der Tür, sein Einkaufswagen steht noch drinnen, jetzt darf die Frau einkaufen. - Wir entscheiden uns, dass ich in den Laden gehe. Drinnen ist es fast leer, es gibt alles, was es sonst auch gibt, dazu ausgerechnet Nudeln und Toilettenpapier im Sonderangebot. Es wirkt hier alles sehr ruhig, irgendwie noch entspannter als sonst, wenn hier auch Paare einkaufen dürfen. An der Kasse dauert es länger, weil sich Kunden und Kassiererin gründlich unterhalten. Und jeder bekommt Gutscheine geschenkt, an einer Lotterie teilzunehmen. Was es gibt es dazu gewinnen? - Reisen ins Ausland. Hier herrscht Optimismus...

Und weil nun auch keine Treffen mehr mit tatsächlichen und potentiellen Projektpartnern stattfinden können, arbeiten wir planerisch ansonsten vor allem vom heimischen Balkon aus.


Der innengriechische Verkehr ist verboten, für alle, die einen nicht verschiebbaren Grund für eine Reise nicht angeben können. Es gibt ohnehin von Kreta aus kaum noch Flüge auf das Festland, und von Athen aus fliegt die griechische Airline AEGEAN nur noch nach Brüssel, einmal am Tag. Der Landweg nach Mitteleuropa ist versperrt.



... und die folgenden Tage


Es ist ein ziemlich trauriges Griechenland hier zurzeit. Menschen auf Abstand zueinander: Das ist kein Kreta. Keine Menschen, die gemeinsam miteinander vor der Tür draußen sitzen. Eine alte Frau sitzt vor ihrem Haus und schält eine Orange. Ganz alleine, für sich. Die Menschen sind, wenn sie denn draußen zu sehen sind, seltsam leise. Kein lautes Mires, nicht einmal gehupt wird, wenn Bekannte auf der Straße zu sehen sind. Ein Dunkelgardinenleben ist das hier zurzeit.


Unter dem Dach von dem Kiosk nicht weit von unserer Wohnung an der Hauptstraße Mires - Heraklion, zwischen Wasserflaschenvorräten und Schokoladenpappkartons, da sitzt ein junger Mann, spielt Bouzouki und singt dazu, schon den ganzen Nachmittag. Der Mann im Zeitungskiosk hört ihm still zu, auch schon den ganzen Nachmittag. Jede Kundin, jeder Kunde, die, der vorbei kommt, verharrt eine Weile und hört zu. Da steht man beieinander, aber nicht nebeneinander. Gedankenversunken.


Der Bürgermeister von Chania gibt bekannt: Zuhause bleiben ist ja grundsätzlich richtig. Aber wir sollen doch bitte auch die Tiere nicht vergessen, vor allem nicht die streunenden Katzen und Hunde, die kein Zuhause haben und doch essen und trinken müssen. Wir sollen doch den halbwilden Tieren bitte regelmäßig Wasser nach draußen stellen und ein wenig Tierfutter. - Im Bezirk Heraklion kann man sich sogar eine Bescheinigung ausstellen lassen, wenn man sich auf den Weg machen will, um streunende Tiere zu versorgen: Drei Stunden maximal am Tag, behördlich genehmigt, darf man dazu das Haus verlassen, das ist nun so geregelt.


Die deutschsprachige Fassung des Formulars, das man ausfüllen muss, um sich außer Haus zu bewegen, heißt: "Zertifikat für den Ausschluss der Bürgerbewegung". Aber wir haben natürlich sowieso unseren Stolz und verwenden selbstredend das griechischsprachige Formular.


Die Redaktion der griechischen Zeitung "Die Wahrheit" staunt und teilt das ihren Leserinnen und Lesern auch gleich mit: In diesem Land, in dem so ziemlich jede neue Regelung, jedes neue Gesetz, jede neue Vorschrift erst einmal gründlich hinterfragt und, wenn überhaupt, ohnehin häufig nur mit einer individuell als angemessen behaupteten Übergangsfrist umgesetzt wird, da wird das Ausgangsverbot befolgt. Sozusagen überall. Die Griechen unterstützen das, was ihre Regierung angeordnet hat. Von einem Tag auf den anderen. Die Zeitung "Die Wahrheit" möchte wissen, was aus unserem Griechenland geworden ist und wohin das noch alles mal führen soll.


Für die griechischen Osterfeiertage (eine Woche nach den Ostern in Mitteleuropa) sind die Regelungen in Griechenland noch einmal verschärft worden. Tatsächlich sind wir in Kapariana in unserer Wohnung quasi eingesperrt, die wir nur noch zum Einkaufen verlassen dürfen oder zu einem kurzen Spaziergang in der Nähe des Wohnhauses. Wir dürfen also auch nicht mehr auf unser Grundstück. Schwimmen ist verboten, auch denjenigen Menschen, die am Meer wohnen, das Angeln auch. Radfahren ist nicht erlaubt, das Wandern auch nicht. Viele der neuen Regelungen gelten bis zum 31. Mai. Immer noch scheint es so, als ob sich die Griechen mit den harten Vorschriften abfinden. Aber das hier ist ein sehr, sehr trauriges Kreta.

Die Osterfeiertage sollen also drinnen verbracht werden. Ausdrücklich wird sogar das Grillen verboten, nicht nur auf einem Wochenendgrundstück, das ja ohnehin nicht erreicht werden kann, auch in Innenhöfen, im eigenen Garten, auf Terrassen und Balkonen ist das Grillen verboten. Das Lamm gehört in den Backofen in der eigenen Küche, sagt der Regierungsvertreter tatsächlich, und er fügt hinzu: Wenn Griechen draußen grillen, dann bleiben sie nie alleine, dann kommen immer andere Menschen dazu, Familie, Freunde – und schon läuft da ein Fest und alle feiern miteinander. Das darf jetzt nicht sein, und im eigenen Küchenbackofen kann man doch auch feines Essen machen, meint die Regierung, das muss man dann halt im engsten Familienkreis genießen, findet die Regierung, auch wenn das dann nicht so fröhlich wird, das weiß auch die Regierung.


Auch bei uns ist der Fernsehkonsum in den letzten Tagen gestiegen, und dabei nutzen wir die Zeit, um Filme zu sehen, die wir vor vielen Jahren im Kino verpasst haben, weil sie uns schlicht nicht interessierten. Nun aber entdecken wir sie, mit dem Reiz, die Kassenschlager von ehedem nicht gesehen zu haben, aber jetzt nachzuerleben, neu. Daher heißen nun unter dem Eindruck des Gesehenen die kleinen Katzen, die Balkonkatze Kaahli im Pappkarton von LIDL Hellas vor unserer Küchentür zur Welt gebracht hat: Luke, Sky, Walker. - Und Gudula, mit der wir, als viertes Kätzchen, nicht gerechnet haben.


Ich sitze am griechischen Karfreitag zum Vokabellernen mit meinem Tablet auf dem Balkon. Das Sprachprogramm hält gerade solche Vokabeln für wichtig, die sich mit dem griechischen Rechtssystem beschäftigen. Ich halte diese Vokabeln dagegen eher für im Moment nicht so wichtig, daher gönne ich mir besonders viele Ablenkungen und schaue bei jedem vorbeifahrenden Auto, ob die Fahrerin, der Fahrer angeschnallt ist – aus purer Neugierde, ob sich die Fahrerinnen und Fahrer eigentlich an die Anschnallpflicht halten, und weil man das von hieraus so prima erkennen kann. Festhalten lässt sich schon mal, dass so gut wie alle Fahrerinnen und Fahrer, die angeschnallt sind, im Auto auch einen Mundschutz tragen. Es tragen übrigens nicht sehr viele Leute, die vorbei fahren, einen Mundschutz. - Mir fallen viele bedeutungsschwere Schlussfolgerungen für mögliche Zusammenhänge zwischen dem Tragen von Mundschutz und Anlegen von Anschnallgurten und deren Aussagekraft für das Leben auf Kreta ein, über deren Priorisierung ich jetzt auf dem Balkon nachdenke. Beim Vokabellernen.


Zahlen: Am Ostersamstag meldet die Schweiz 318 gezählte Corona-Infektionen pro 100'000 Einwohner, in Deutschland sind es 171, in Griechenland 21, auf Kreta weniger als 3. In einem Beitrag für ein griechisches Touristenradio nennt eine Deutsche angesichts solcher Zahlen Kreta die "Insel der Glückseligen". Sie kann halt nicht herkommen, da würden sich vielleicht ihre Vorstellungen vom Glück ändern, sicher bin ich mir da aber nicht. Denn diese Kretasommerferiende schreibt auch, dass das jetzt die gute Zeit für uns alle sei, wieder zu lernen, Bescheidenheit zu erfahren, sich intensiver über schöne Momente zu freuen und zu lernen, mit wie wenig man im Leben auskommen kann. Von mir aus kann diese Touristin gerne auch für sich lernen, mit weniger im Leben auszukommen, hier machen Menschen dabei bereits existentielle Erfahrungen, und ich wünsche dieser Kretareisenden für die Zukunft, dass sie sich mal über schöne Momente auf Kreta freut, wenn sie hier ist, und nicht erst retrospektiv, wenn sie wieder weg ist.


"Ausgerechnet das chronische Krisenland Griechenland verzeichnet erstaunliche Erfolge im Kampf gegen die Corona-Pandemie. Die französische Denkfabrik The Bridge analysierte jetzt die Corona-Strategie von zehn europäischen Ländern. Griechenland schnitt mit Abstand am besten ab, dank frühzeitiger und strikter Beschränkungen." Und es ist nun nicht etwa die Originalaussage, auf die die griechische Zeitung Η ΚΑΘΗΜΕΡΙΝΗ hier Bezug nimmt, es ist die deutsche Wochenzeitung DIE ZEIT, aus deren ausführlich lobendem Beitrag über Griechenland hier zitiert wird. Und da sollen die Griechen mal erfahren, dass die Deutschen nun auch noch lesen, was der israelische Historiker Yuval Noah Harari in den USA über die Griechen sagt: "Griechenland hat bei der Eindämmung dieser Epidemie einen fantastischen Job gemacht. Wenn ich wählen müsste, wer die Welt politisch führen sollte, Griechenland oder die USA, würde ich Griechenland wählen." Η ΚΑΘΗΜΕΡΙΝΗ will ihren Leserinnen und Lesern nicht vorenthalten: Das wissen nun auch die Deutschen.


Die kleinen Katzen Luke, Sky, Walker und Gudula, die Balkonkatze Kaahli im Pappkarton von LIDL Hellas zur Welt gebracht hat, finden auch, dass das nun mal gut ist mit der Ausgangssperre. Sie sind noch arg wackelig auf den Beinen, eigentlich stehen sie noch nicht wirklich, von ausgehen kann da ohnehin nicht die Rede sein. Aber nun sind sie zur Überzeugung gelangt, dass ihr Pappkarton nicht das gesamte Leben sein kann, und haben sich auf den Weg gemacht – zunächst einmal in den benachbarten Pappkarton, der über einen Pappkartondurchlass zu erreichen ist. Jetzt kann man zum einen beobachten, was für eine Unruhe die Lockerung einer Ausgangssperre so mit sich bringen kann, zum anderen aber auch, wie wichtig die freiere Bewegung für die Entwicklung im Ganzen so ist – und ich bin ganz sicher, dass diese Kätzchen in den nächsten zwei Tagen eine Erweiterung ihrer individuellen Bewegungsmöglichkeiten dringend anmahnen und nachdrücklich umsetzen werden.


Der 1. Mai wird in Griechenland nicht nur als "Tag der Arbeit" gefeiert, sondern auch als derjenige Tag, an dem der Winter für dieses Jahr endgültig vorbei ist. Unsere Vermieterin Irini hat uns einen selbst gemachten Blumenkranz gebracht. Den haben wir, wie es hier zum Maianfang üblich ist, an unsere Haustür gehängt und freuen uns über den Frühling. Und wir freuen uns darüber, dass ab Montag die Ausgangssperren ein wenig gelockert werden. Wir dürfen wieder vor die Haustür gehen, ohne eine schriftliche Bewilligung dafür bei uns zu tragen, und wir dürfen sogar wieder mit dem Auto fahren, wenn auch nur im Bezirk Heraklion. Aber der ist ja doch recht groß und wir können wie der in die Berge und ans Meer. Und natürlich auf unser Grundstück.

Nach wie vor geschlossen haben Cafés, Tavernen, Hotels. Kaum noch jemand rechnet damit, dass dieses Jahr die Tourismus-Saison noch wirklich beginnt.

Aber hier bei uns wird es ein bisschen mehr Leben draußen geben, und das wird nun auch wirklich Zeit, finden wir hier.


"Seit nun über drei Wochen kein Corona-Fall mehr auf Kreta nachgewiesen", titelt die "Chania Post". Diese Nachricht vom 5. Mai, verbunden mit der Tatsache, dass unsere Insel nur mit Ausnahmebewilligungen per Flugzeug oder Fähre zu erreichen ist und man also tatsächlich von einer Isolation sprechen kann, macht es schwieriger, nachzuvollziehen, warum wir hier eigentlich nicht im Café sitzen oder mal eine Taverne besuchen dürfen und Kunden 150 Euro Strafe zahlen müssen, wenn sie in einem Geschäft ohne Schutzmaske erwischt werden. Die griechische Regierung kündigt Lockerungen an, und auch der Tourismus soll vielleicht im Juli wieder hochgefahren werden. Aber da gibt es viele Fragen, die bislang Hoteliers davon zurückschrecken lassen, eine Öffnung ihrer Hotels konkret zu planen. Welche Außerkreter dürfen denn überhaupt mit welchen Nachweisen woher und auf welchen Wegen zu uns kommen? Wenn in einem Hotel dann bei einem Gast doch eine Infektion nachgewiesen wird – was passiert dann mit den anderen Gästen, wer zahlt für Stornierungen bei neuen Hotelschließungen, Quarantäne? Und wollen Touristen wirklich kommen, wenn sie hier in den Tavernen von Kellnern mit Mundschutz bedient werden, zum Nachbartisch 1,50 Meter Abstand gehalten werden muss und man sich das Abendessen nicht mehr in der Küche direkt auswählen darf? - Im Fernsehen behauptet ein Sprecher der Hotelvereinigung, die Hälfte aller kretischen Hoteliers hätte sich schon für eine Nichtöffnung in diesem Jahr entschieden, die andere Hälfte würde noch abwarten.

In Mires ist die Hauptstraße durch den Ort schon wieder nur noch allenfalls einspurig zu befahren, weil Autos beidseitig in zweiter und dritter Reihe parken, das immerhin erinnert an die gute alte Zeit. Aber viele Geschäfte haben noch geschlossen, und nach wie vor gibt es keine Möglichkeit, bei einem griechischen Kaffee oder einem Bier das sympathische, vertraute Chaos auf der Straße zu betrachten.

Wir betrachten dafür unsererseits beim Kaffee auf unserem Balkon unsere kleinen Katzen, die ihrerseits über die Ränder der Pappkartons gestiegen sind und die nähere Umgebung nach dieser selbsterarbeiteten Lockerung ihrer Ausgangssperren in Augenschein nehmen. Und wenn Luke ganz grundsätzlich deutlich seine Skepsis gegenüber allen Überwachungsmaßnahmen zeigt, dann haben wir dafür ebenso ganz grundsätzlich Verständnis.


Das erste Wochenende, nachdem das Ausgehverbot aufgehoben wurde: Und weil es auch wieder erlaubt ist, im Meer zu schwimmen, sind wir am am Sonntag an unserem „Hausstrand“ Komos. Wir staunen, wieviele Menschen hier sind: Da ja keine Touristen nach Kreta kommen dürfen, sind das hier fast alles zweifellos Griechinnen und Griechen auf Wochenendausflug, mutmaßlich aus dem Norden, denn dort sind die „organisierten“ Stränden, also solche mit Sonnenschirmreihen und Mietliegestühlen, noch gesperrt. Und natürlich sind die Strände bei uns im Süden sowieso die schönsten, außerdem wurde die 30 Grad-Grenze überschritten und bei dieser angenehmen Wassertemperatur braucht es zum Schwimmen keinen Mut mehr. Auch wenn heute so viele Menschen hier am Strand sind, wie sonst nur in der touristischen Hochsaison: Um Abstandsregeln muss man sich nicht sorgen, ein paar hundert Quadratmeter kann man immer noch für sich allein haben.

Am Montag darauf sind wir an unserem „zweiten Hausstrand“ in Dytikos. An diesem traumhaft schönen Strand verteilen sich allenfalls ein paar Dutzend Besucherinnen und Besucher auf mehrere Kilometer Strand, manche von ihnen verbringen hier offen mehrere Tage in selbstgebauten Strandhütten. Unser eigener, mitgebrachter Sonnenschirm ist weit und breit der einzige. Essen und Trinken muss man sich auch selbst mitbringen: Cafés und Tavernen müssen noch ein paar Wochen geschlossen bleiben, die kleine Läden an der Straße haben mangels Nachfrage nicht geöffnet. - Es geschieht selten, dass man findet: Der Strand könnte ruhig ein bisschen belebter sein.


Ein Wochenende später: Inzwischen sind alle Strände wieder offiziell benutzbar, auch die "organisierten" an der Nordküste, für die gelten allerdings genau formulierte Sonnenschirmabstandsregeln mit allerhand Rechenformeln, aus denen man ableiten kann, wie die Sonnenschirme zu stehen haben. Das ist den Nordkretern möglicher-, jedenfalls aber verständlicherweise zu schwierig: Der "unorganisierte" und damit rechenformelfreie Strand in Kali Limenes an der Südküste ist jedenfalls an diesem Sonntag so voll, wie wir ihn noch nie gesehen haben, selbst nicht zu Touristenzeiten – und nach wie vor sind wir hier touristenfreies Sperrgebiet, denn unsere Insel darf noch nicht von außerhalb besucht werden. Da werden auch viele Einheimische die zurück gewonnenen Freiheiten wieder genießen wollen –  bei über 40 Grad im Schatten, völliger Windstille und spiegelglattem Libyschem Meer.

Ein Ausflug, Ende Mai, nach Agia Galini, dann nach Plakias, an der Südküste weiter westlich von uns gelegen, macht anschaulich deutlich, welche Folgen hier in Südkreta der ausbleibende Tourismus hat. Anders als in unserer Umgegend sind jene Orte ganz und gar auf ausländische Touristen eingestellt, nur dann gibt es dort Leben; jene Orte sind folglich tot, wenn keine Touristen da sind.

Im Winter, ohne Touristen, ist das dann ein vertrauter Anblick: Tavernen und Hotels sind fast alle geschlossen, viele Fenster sind mit Zeitungen verklebt, es sind kaum Menschen auf der Straße. Jetzt, bei schönstem Sommerwetter, sieht es dort genau so aus wie sonst nur im unbelebten Winter, aber der Eindruck ist umso trübseliger. Fast könnte man meinen, die Pandemie hätte dort voll durchgeschlagen und jene Orte wären wirklich "ausgestorben". Das ist kein gutes Dortsein jetzt, das macht depressiv, schon gar, wenn auch am zu normalen Zeiten gut belebten Sandstrand von Plakias nur Sonnenschirmhalter ohne Sonnenschirme an solche Zeiten erinnern, in denen dort noch Menschen lebten und vergnügt waren.

Wie wird das werden? Wie wird das weiter gehen? Täglich gibt es einander widersprechende neue Nachrichten, wer wann mit welchen Verkehrsmitteln über welche Orte wohin aus Mitteleuropa nach Griechenland und auf unsere Insel wird reisen dürfen – und welche Unannehmlichkeiten dafür in Kauf genommen werden müssen. Wer mag sich dann wohl auf den Weg machen und will hierher kommen, wenn in Plastik eingepackte Stewardessen ihre Passagiere an den griechischen Flughäfen an Kontrollstationen abliefern, an denen dann, wenn bald nur noch stichprobenartig, bei den Einreisenden Fieber gemessen und nach Corona-Anzeichen gesucht wird? Und welche Hotels werden überhaupt geöffnet haben? Welche Tavernen in den Touristikorten? Was bleibt von der griechischen Herzlichkeit und den freundlichen Gesichtern, wenn sich Kellner und Hotelmitarbeitende hinter Gesichtsmasken verstecken?


Samstag vor Pfingsten (das Pfingstfest wird hier eine Woche nach dem "mitteleuropäischen" Pfingsten gefeiert), Markttag in Mires. Ja, der Markt ist weniger belebt, weil auch hier die Touristen fehlen, aber es ist dennoch viel los, in den Markttavernen sind alle Tische besetzt, die Marktstände sind wieder lückenlos gestellt. Es ist fast wie immer hier. Hier ist Leben, hier ist so viel Freude und Herzlichkeit, hier sind so viele freundliche, strahlende Gesichter, und überall gibt es kleine Wiedersehen zu feiern. Was ist das hier für ein schönes Miteinander. "Social Distancing", das Wort hätte wohl gute Aussichten, als Unwort des Jahres in Mires gewählt zu werden, wenn es so etwas gäbe. - Wir kaufen Obst und Gemüse an den verschiedenen Ständen ein. Überall werden wir herzlich begrüßt. Wir freuen uns miteinander,

sozusagen gegenseitig, über die vielen Wiedersehen. So tut das Leben hier gut. Ja, wir wohnen tatsächlich weiterhin in Kapariana bei Mires, gibt Madeleine gerne auf Nachfragen hin in griechischer Sprache Auskunft, in unserer südkretischen quirligen Kleinstadt, und wir sind für immer hier auf Kreta. Das kann nicht besser sein, das finden wir alle miteinander, da sind wir uns miteinander ganz einig. Wir leben hier, vielleicht nicht in der schönsten, aber jedenfalls in der besten Stadt überhaupt.






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